Wir scheinen Menschen mit einem selbstbewussten Auftreten zu lieben, bewundern sie, fallen oft genug darauf rein und wollen ihnen sogar noch nachmachen. Gerade bescheidene Menschen sehnen sich nach solchem Selbstbewusstsein für mehr Erfolg, mit „Selbstbewusst in 3 Tagen“ Workshops locken Internetgurus mit einfachen Rezepten.
So einfach ist das alles aber nicht, obwohl mit dem Selbstwert alles beginnt und endet, im eigenen Leben, in der Arbeit oder in Organisationen. Letztlich entscheidet sich damit, ob Menschen ihre Potentiale leben, ein gelungenes Leben und Arbeiten möglich ist.
Grund genug, sich diesem Thema einmal differenziert zu nähern:
Was ist überhaupt Selbstwert?
Das obige Beispiel zeigt schon das Definitionsdilemma, denn wir verwechseln immer selbstbewusstes Auftreten mit Selbstwert, die in den seltensten Fällen zusammen gehören.
Selbstbewusstes Auftreten wird oft an Eloquenz, Status, Habitus, materiellem Erfolg oder Bekanntheit festgemacht, was aber oft „gemacht“ oder „unecht“ ist. Oft ist es sogar so, dass „selbstbewusstes“ Auftreten einen Selbstwertmangel kaschiert, bis hin zu massiven Persönlichkeitsstörungen wir Narzissmus oder Psychopathen.
Man erkennt diese unechte Form vor allem daran, dass der Wert permanent von außen bezogen wird, durch Anerkennung, Lob oder Prestige. Wenn dieser äußere Wert weg bricht, dann gibt es auch keinen inneren Wert mehr. Im Gegenteil dazu sprechen wir beim Selbstwert von einer stabilen Verankerung.
SELBSTWERT IST DAS ERGEBNIS VON SELBSTWIRKSAMKEIT UND SELBSTACHTUNG.
Zum eine bedeutet Selbstwirksamkeit die Erfahrung, Schöpfer der eigenen Kräfte zu sein, mit seinen Ressourcen gestalten zu können, mit Ergebnisse wirksam zu sein. Zum anderen bedeutet Selbstachtung die existentielle Erfahrung, dass es gut ist dass es mich gibt. Dass ich eine Daseinsberechtigung habe, ohne externer Anerkennung oder Leistungsprämisse. Man kann dies als Würde des Menschen bezeichnen, die unantastbar ist und die ich mir selber gebe. Im Alltag erkennbar wird diese durch einen liebevollen Umgang mit mir selbst, wie sorge ich für mich, nehme ich meine Bedürfnisse wahr und kann ich diesen auch Raum geben, indem ich Grenzen ziehe.
Was ist das Selbst?
Nach dem Schweizer Psychoanalytiker C.G. Jung ist “das Selbst” die Summe von Unbewussten und Bewussten. Man kann sich das Leben wir eine Kugel vorstellen, mit einem kleinem Punkt als Ego, der Rest strebt zur Ganzheit. All das Verborgene, Ungelebte, unsere Schattenaspekte, Sehnsüchte und vieles mehr sind Teil des „Selbst“.
„Wandeln und Werden“ verläuft nie gerade, ist nicht planbar, vor allem endet es nie und findet oft in schwierigen Situation statt.
Wie entsteht ein „falsches Selbst“ ?
Der englischen Kinderanalytiker Donald W. Winnicott unterscheidet das „wahre und falsche Selbst“, letzteres bildet sich oft durch schmerzvolle, frühkindliche Erfahrungen. In gelungenen Interaktionen der Versorgung des Säuglings ist zu beobachten, dass die Bedürfnisse schon in der Entstehung gespürt werden. Es findet ein gesunder, natürlicher und intimer Kontakt statt, das Baby oder später das Kind wird gespiegelt, fühlt sich verstanden und aufgehoben, vor allem verstanden mit der Botschaft: “Ich bin Ok so wie ich bin”.
Wenn diese existentiellen frühkindlichen Erfahrungen fehlen und das Baby eine „gefühlte Ablehnung“ seitens der Mutter oder des Vaters wahrnimmt, beeinflusst das in späterer Folge jegliches Beziehungsverhalten. Andere Formen der Verletzungen sind Manipulationen wie: „Mami ist traurig weil du nicht folgst“, „Papi ist ganz einsam, weil du nur draußen spielen willst“. Das Verhalten des Kindes wird wie eine Ware eingesetzt und manipuliert, das Kind lernt, dass es dauernd etwas tun muss um etwas zu bekommen – Anerkennung!
Daher ist ein selbstbewusstes, aber immer nur nach äußeren Anerkennung strebendes Verhalten keine gesundes Selbstwertgefühl.
Können wir Selbstwert entwickeln?
Aus dem bisher geschrieben geht hervor, dass Selbstwertverletzungen sehr tief sitzen, da sie oft in frühkindlichsten Erfahrungen erlebt wurden. In einer Zeit absoluter Schutzlosigkeit, Ausgeliefertsein, ohne der realen Möglichkeit uns zu wehren. Um zu „überleben“ mussten wir uns ein „falsches Selbst“ aneignen, was später dann zu dem geringen Selbstwert führt. Im “Drama des begabten Kindes” beschreibt Alice Miller die Fähigkeit von sensiblen Kindern, früh zu erfühlen was Beziehungssituationen brauchen und sich darauf einzustellen, auf Kosten der eigenen Bedürfnisse.
Aber die gute Nachricht ist: Wir können alte Narben zwar nicht wirklich heilen, denn „Die Wunde des Ungeliebten“, wie es der Schweizer Psychotherapeut Peter Schellenbaum schreibt, bleibt ein Leben lang. Was aber nicht bedeutet, dass wir diese nicht integrieren, transformieren und uns damit entwickeln können. Das ist auch unsere Erfahrungen, die Wunde bleibt, aber wir können uns weiterentwickeln und vor allem uns selber Wert geben, darin wachsen uns reifen.
Selbstwirksamkeit entwickeln
Dies wird Gegenstand des nächsten Podcast sein, aber soviel sei schon verraten: es gibt unzählige Möglichkeiten Selbstwirksamkeit zu entwickeln und zu erfahren. Überall dort wo ich mich als Schöpfer meiner Kräfte erlebe, sei es beim Kochen, der Gartenarbeit oder Erstellen einer Bilanz, vor allem in jeder Tätigkeit in Organisationen.
Selbstachtung entwickeln
Alle beginnt mit der Möglichkeit, sich selber einen Wert zu geben, egal ob dieser von außen kommt. Diesen Wert kann ich mir durch einen liebevollen Umgang mit mir selber geben, indem ich mir Gutes tue, meinen Bedürfnissen lausche und diesen auch Raum gebe. Das ist eine tägliche Übung, die vor allem im Alltag gewonnen wird.
Alles beginnt und endet mit dem Selbstwert, egal ob in Führungspositionen oder im persönlichen Leben. Ein spannendes Abenteuer, wenn wir uns auf die Reise des Selbstwertes begeben, wir freuen uns schon auf die nächsten Ausgaben der Podcastserie.
Autoren
Werner Sattlegger, Founder Art of Life
Manuela Sattlegger, Mal- und Gestaltungstherapeutin, Co-Founder Art of Life
Literatur
Peter Schellenbaum: „Die Wunder des Ungeliebten“
Manfred Kets de Vries:“ Vorstände, Narren und Hochstapler“
Donald W. Winnicott: „Familie und individuelle Entwicklung“
Verena Kast “Die Dynamic der Symbole. Grundlagen der Jungschen Psychotherapie”