Mai 18

Wie innere Bilder Entwicklung ermöglichen

Im Außen werden wir von Bildern überströmt – die großen Bildermengen in Social Media und in der Werbung beweisen uns dies jeden Tag. Bilder vermitteln großartig Botschaften, da sie bewusst und unbewusst auf uns wirken, wie das Visual Storytelling es uns jeden Tag beweist. Nicht umsonst sagt man, „ein Bild mehr sagt als 1000 Worte“. Die Sprache vermag vieles nicht auszudrücken, sie intellektualisiert, man kann sich hinter und mit Worten verstecken. Gerade wenn es aber um persönliche Entwicklung oder Pathfinding (Individuationsprozess) geht, dann kommt man mit dem Intellekt oft an die Grenzen. Mit inneren Bildern kann man schnell und mit überraschenden Ergebnissen zum Kern kommen. Gehen Sie mit mir auf eine Reise zu der reichen inneren Bilderwelt, die einen Entwicklungsweg eröffnen.

Jeder Mensch hat innere Bilder

Innere Bilder spielen in der menschlichen Entwicklung eine wichtige Rolle: Noch bevor wir als Kinder sprechen können, denken und träumen wir in Bildern. Diese bildliche Vorstellungsfähigkeit unseres Nervensystems ermöglichte erst die Kulturentwicklung des Menschen, denn durch die bildliche Vorstellung kann der Mensch die Zukunft antizipieren und den Einfluss der Vergangenheit auf die Gegenwart projizieren.[1] Innere Bilder sind alle Vorstellungen, die unser Denken, Fühlen und Handeln bestimmen. Es sind Muster, Schemas, Informationen, Programme, die in unserem Gehirn gespeichert sind. Ein Teil ist genetisch determiniert, der andere wird durch Sozialisation und Erfahrungen gewonnen. Ein Bild knüpft sich an das andere an, kann es verstärken und immer gleiche Handlungsmuster aktivieren. Sie können aber auch adaptiert, überschrieben oder als unbrauchbar klassifiziert werden – das nennt man dann Lernen.[2]

Innere Bilder des individuellen und kollektiven Unbewussten

Jeder Mensch hat somit innere Bilder, sie bilden eine Brücke zwischen Bewusstsein und dem Unbewussten. Alles was in uns vorgeht, wie Ahnungen, Gedanken, Gefühle hat die Tendenz sich in anschauliche Bilder übersetzen zu lassen. Innere Bilder erinnern an beglückende, aber auch unglückliche Momente oder Zeiten, an nicht überwundene Verletzungen und auch an unsere ungelebten Möglichkeiten. Neben der individuellen Perspektive finden wir aber auch überpersönliche Bilder – die Urbilder der Seele.[3] Jung spricht davon, dass dieses kollektive Unbewusste in allen Menschen ident vorhanden ist und eine allgemeine Grundlage überpersönlicher Natur darstellt.[4]

Innere Bilder für den eigenen Entwicklungsprozess nutzen

Viele Themen, Probleme, Konflikte können wir selbst durch Nachdenken, rational und/oder durch Gespräche mit anderen Menschen auflösen. Dennoch gibt es Bereiche, die nicht so einfach durch rationales Verhalten gelöst werden können oder eine Verhaltensänderung so einfach umgesetzt werden kann. Aus meiner langjährigen Erfahrung lohnt sich die Beschäftigung mit den inneren Bildern und Symbolen, wenn man unmittelbar und unverstellt Zugang zum eigenen inneren Leben finden möchte. Diese Bilder kann man dreidimensional erleben. Der Psychotherapeut Böschemeyer meint dazu: „Weil sie farbig, plastisch, gefühlvoll und erlebnisnäher als jeder noch so eindrucksvolle Gedanke sind, kommt der Imaginand seinen unbewussten Vorgängen sehr nahe. Er sieht, hört, riecht, schmeckt, tastet, spürt und fühlt, was ihm begegnet. Er tritt als ganzer Mensch in das Geschehen ein. (…) Er muss sich ihnen stellen. Auf diese Weise erfährt er eine komplexe Bearbeitung der Vergangenheit und neue Zugänge zu einem gelingenden Leben in der Gegenwart.“[5] Zugang zu den inneren Bildern finden Viele Ansätze in Therapie und Beratung nutzen die Wirkung der inneren Bilder, um unbewusste Inhalte bewusst zu machen (wie z.B. Psychoanalyse, analytische Psychologie, Katathymes Bilderleben, Gestalttherapie, Wertimagination, Hypnotherapie, Psychosynthese, Mal- und Gestaltungstherapie). Als Methoden werden geführte oder freie Imaginationen, Fantasiereisen, Märchenarbeit, Traumarbeit, Malen und Gestalten angewendet, um die Symbolbildung anzuregen und unbewusste Inhalte in das Bewusstsein zu heben.

Innere Bilder in der Mal- und Gestaltungstherapie

Da ich ein sehr „rationaler Mensch“ bin, war ich von Anfang an Mal- und Gestaltungstherapie fasziniert. Innere Bilder sind so intensiv, direkt und docken direkt bei den Gefühlen an. Ich habe viele Menschen erlebt, die überrascht waren, wie Bilder ihr Inneres abbildeten, die Sprache als Abwehrmechanismus nicht mehr möglich war.

Positive Wirkungen des Malens und Gestaltens innerer Bilder

- Verlorengegangene kreative Fähigkeiten wieder entdecken - Selbstvertrauen und Selbstwertgefühl aufbauen - Schwer fassbare innere Prozesse anschaubar zu machen und so deren bewusste Verarbeitung einzuleiten - Gefühlen wie Ängsten, Erwartungen und Sehnsüchten gestaltend Ausdruck zu verleihen - Verborgene kreative Kräfte zu aktivieren und damit gesunde Persönlichkeitsanteile zu stärken.[6]

Beispiel für einen Prozess mit inneren Bildern

Ein Bankangestellter arbeitet seit 20 Jahren im gleichen Unternehmen. Die letzten 2 ½ waren sehr aufreibend, viele Stellen wurden gestrichen, seine Abteilung steht vor dem Aus. Ein halbes Jahr war nicht klar, ob und wer in seiner Abteilung gekündigt. Vor einem halben Jahr wurden 40% seiner Kolleg*innen gekündigt. Er behielt zwar seine Stelle, die Arbeit seiner Abteilung blieb aber im gleichen Umfang erhalten. Um seinen Zustand zu beschreiben, fand er folgendes inneres Bild: Er steht in einem Raum, der völlig mit weißen Fliesen bedeckt ist, in einer Ecke. Er schaut auf diese verflieste Ecke und fühlt nur Hoffnungslosigkeit. Ich bitte ihn sich im Raum umzusehen, da sieht er einen tropfenden Wasserhahn. Er wandelt das Bild weiter um, indem der den Wasserhahn aufdreht, das Wasser wird immer mehr, es reißt ein Loch in die Wand. Er kann hinaustreten und sieht eine Wiese, einen Fluss. Plötzlich erinnert er sich, dass er früher einmal ein begeisterter Kanufahrer war. Plötzlich spürt er wieder so etwas wie Energie und Lebensfreude. Seinen beruflichen Weg zu finden, wird vielleicht noch etwas dauern, aber er nimmt sich vor, sein Kanu aus dem Keller zu holen und eine Fahrt zu wagen. In der Natur, am Wasser öffnet sich sein Blick, er hat wieder Energie sein eigenes Leben in die Hand zu nehmen. Zuversicht und damit Handlungsspielraum erhöhen sich.

Übung Innere Bilder

Das schöne ist, dass Sie bei dieser Übung nichts erreichen müssen. Es gibt kein Ziel, sie brauchen sich nicht anzustrengen. Folgen Sie einfach ihren inneren Bildern, beobachten Sie, aber bewerten Sie nicht. Fühlen Sie sich wie ein Forscher, der auf eine innere Reise geht. Nehmen Sie sich mindesten 10-15 Minuten Zeit. Nehmen Sie aufrecht auf einem Sessel Platz, beide Beine fest am Boden oder legen Sie sich bequem hin. Gut ist, wenn Sie die Füße oder Hände nicht verschränken. Sie können die Augen schließen oder wenn es nicht angenehm ist, einen Punkt ca. 30 cm vor Ihnen fixieren. Atmen Sie ein und aus, spüren Sie in sich hinein, welches Thema Sie bearbeiten möchten. Haben sie einen Ort im Körper, wo Sie das Thema festmachen könnten? Lassen Sie nun ein inneres Bild in Ihnen entstehen, beobachten Sie sich wie in einem Film. Betrachten Sie auch die Personen, die vielleicht neben Ihnen auftauchen und Ihre Umgebung. Das schöne ist, sie können ihre inneren Bilder verändern und in eine positive Richtung lenken, wenn das was Sie sehen, nicht angenehm ist. Wenn das innere Bild angenehm ist, dann bleiben Sie ein wenig in dieser Energie, vielleicht hören oder riechen Sie auch etwas. Langsam kommen Sie wieder zu sich, öffnen die Augen und sind wieder Versuchen Sie nachzuspüren, was Sie gesehen und erlebt haben. Vielleicht ist Ihnen die Übung schwergefallen, in ihrem Kopf sind Gedanken hin und her gerast… Das erleben die meisten von uns, der Trick ist, die Gedanken zu beobachten, zu benennen und dann wieder ziehen zu lassen. Was ist Ihnen sonst noch aufgefallen? Hat es einen Moment gegeben, was Sie sehr berührt hat? Hat sich das Bild gewandelt oder wollen Sie noch weiter daran arbeiten? Sie können Ihre Erfahrungen niederschreiben, in der Mal- und Gestaltungstherapie arbeiten wir mit Bildern, um das Unbewusste noch mehr anzuregen und an dem Thema zu arbeiten. In der Mal- und Gestaltungstherapie in der Jung’schen Tradition geht es um das „Bewusstseinsfähigmachen“ von Inhalten, die noch nie im Bewusstsein waren. Das Gestaltenlassen hat dabei eine große Bedeutung, man spricht nicht nur von etwas, sondern tut es auch. Es geht wie meist um das „Tun“, der/die Gestalter*in des eigenen Lebens zu sein und nicht den äußeren Umständen, der Gesellschaft oder anderen Menschen ausgeliefert zu sein. Wir können uns unsere inneren Bilder bewusst machen und auch verändern, das stimmt doch sehr zuversichtlich.

Literatur

[1] Vgl. DAMASIO, Antonio (2017): Im Anfang war das Gefühl. Der biologische Ursprung menschlicher Kultur, S 90ff [2] Vgl. HÜTHER Gerald (2015): Die Macht der inneren Bilder. Wie Visionen das Gehirn, den Menschen und die Welt verändern. [3] Vgl. BÖSCHEMEYER Uwe (2012): Unsere Tiefe ist hell. Wertimagination – ein Schlüssel zur inneren Welt“, S 19-22 [4] Vgl. KAST Verena (2008): Die Dynamik der Symbole. Grundlagen der Jungschen Psychotherapie, S 114-117 [5] BÖSCHEMEYER Uwe (2012): Unsere Tiefe ist hell. Wertimagination – ein Schlüssel zur inneren Welt“, S 19-22 [6] KRAUS Werner (1996): „Die Heilkraft des Malens“  , S. 10

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